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Organisationsforscher im Interview

'Unwerte sorgen für Charakter'

Unternehmenswerte erzeugen Wir-Gefühl, schaffen Profil und sorgen für Handlungssicherheit. Diese Effekte können deutlich verstärkt werden, wenn die Werte durch Unwerte ergänzt werden. Das hat Niels Van Quaquebeke in einer Untersuchung unter 260 Arbeitnehmern herausgefunden. Deshalb fordert der Wissenschaftler Unternehmen auf, nicht nur zu sagen, wofür sie stehen, sondern auch, was sie ablehnen.

Herr Professor Van Quaquebeke, ist es nicht doppelt gemoppelt, wenn Unternehmen neben ihren Werten auch ihre Unwerte definieren. Wenn es heißt, Team Spirit wird bei uns großgeschrieben, bedeutet das doch automatisch auch: Einzelgängertum lehnen wir ab …

Prof. Dr. Niels Van Quaquebeke: So scheint es zuerst. Und auch die wissenschaftliche Werteforschung hat das lange Zeit angenommen. Das Entscheidende ist aber, dass Unwerte eine andere, zusätzliche Perspektive auf die eigene Entwicklung bieten und vor allem einen klareren Maßstab setzen. Bei Werten ist klar, dass es sich um Ideale handelt, die niemals voll erreicht werden können. Das Scheitern ist programmiert, wobei es fast wieder egal ist, wie stark man scheitert. Wer sich dagegen über einen Unwert hinwegsetzt, wird eher Unverständnis und Unmut hervorrufen. Mit Unwerten setzt man also ein erst einmal weniger anspruchsvoll anmutendes Ziel, das dann aber umso härter bewertet wird. Hinzu kommt, dass man Werte und Unwerte natürlich nicht auf der gleichen Dimension verorten würde. Es macht wenig Sinn, Team Spirit als Wert und Einzelgängertum als Unwert anzugeben.

Was schweißt laut Ihrer Untersuchung stärker zusammen: gemeinsame Werte oder gemeinsame Unwerte?

Van Quaquebeke: Wir waren selbst überrascht, dass sich beide Pole in etwa gleich stark und jeweils unabhängig voneinander für Identifikationsprozesse verantwortlich gezeigt haben. Werte und Unwerte sind wie zwei Leuchttürme, durch die man ein Objekt erst wirklich triangulieren und sich in Position dazu wahrnehmen kann.

Im Marketing werden Konstruktionen mit dem Wort 'nicht' vermieden, weil 'nicht' oft nicht gemerkt wird. Wenn ein Unternehmen als Unwert ausgibt, unsere Führungskräfte sind 'nicht intolerant', könnte der Schuss also nach hinten losgehen …

Van Quaquebeke: Natürlich müssen Leitbilder griffig sein. Nicht-Formulierungen sind nicht griffig. Daher sollte man besser Formulierungen nutzen wie 'Unseren Führungskräften ist es wichtig zu verhindern ...' oder 'Wir lehnen Intoleranz ab'. Das sind griffige Ansagen, die klare Versprechen transportieren. Versprechen, die im Zweifel viel klarer sind als wolkige Werte-Statements, wo man gerne einmal hin möchte und doch nie hinkommt.

Helfen Unwerte bei der Positionierung als Arbeitgeber?

Van Quaquebeke: Unternehmen, die sich sowohl mit Werten als auch mit Unwerten positionieren, bekommen Ecken und Kanten. Werte haben alle … und meist sogar die gleichen. Das Profil wird viel schärfer, wenn das Unternehmen sagt, was es für den Geschäftserfolg nicht aufs Spiel setzten würde. Darin zeigt sich der Unternehmenscharakter. Der gefällt dann vielleicht nicht jedem potenziellen Bewerber. Aber denen, denen er gefällt, gefällt er dann auch wirklich. Die Bewerber wissen, worauf sie sich einlassen, und werden später kein böses Erwachen erleben.

Was ist der wichtigste Effekt von Unwerten nach innen – neben der Steigerung des Wir-Gefühls?

Van Quaquebeke: Unwerte limitieren den Entscheidungsspielraum, weil sie bestimmte Optionen klar ausschließen. Damit wird der moralische Kompass noch schärfer gestellt. Wer nicht nur weiß, wofür er steht, sondern auch, wofür er nicht steht, entscheidet schneller und mit mehr Rückgrat.

Kennen Sie Unternehmen, die sich bereits auch über Unwerte definieren?

Van Quaquebeke: Sehr deutlich findet man Unwerte im Leitbild von Google, regelrecht berühmt ist der Satz 'Don‘t do evil'. Die amerikanische Biosupermarktkette Wholefoods hat ebenfalls Unwerte klar verankert. Zunehmend höre ich auch in Deutschland von Unternehmen, die einen ähnlichen Kurs eingeschlagen haben. Professor Rolf van Dick, einer meiner Koautoren, hat zum Beispiel herausgefunden, dass sich das Technologieunternehmen Heraeus im Prozess seiner strategischen Weiterentwicklung auch gefragt hat, wofür es nicht stehen will und was es aktiv zu verhindern sucht. Interessant ist, dass die Praxis hier anscheinend intuitiv einen Weg gefunden hat, der sich durch unsere Studie nun auch statistisch abgesichert als überlegen erwiesen hat. Und natürlich nehme ich meine eigene Forschung ernst. Derzeit diskutieren wir an der Kühne Logistics University in unserem Leitbildprozess, wofür wir nicht stehen wollen und welche Konsequenz das für unsere Vision einer privaten Logistik-Universität hat.

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